February 16, 2015

Disziplin macht erfolgreich! Aber macht Erfolg auch glücklich?

Eine Artikelempfehlung

In dem Artikel Disziplin: Beherrsch dich! hat sich die Zeit Anfang Februar mit der Frage beschäftigt, welche Fähigkeiten eines Menschen am ehesten für Erfolg im Leben ausschlaggebend sind. Die auf den ersten Blick überraschende und irgendwie empörende Erkenntnis: Grundsätzlich führt mehr Inzelligenz zu mehr Erfolg. Aber auch ein weniger kluger Mensch kann sein IQ-Defizit durch diszipliniertes und geduldiges Verhalten ausgleichen und dadurch sogar die Erfolgsrate eines intelligenteren Menschen übertreffen.
Auf den zweiten Blick ist diese Erkenntnis meines Erachtens gar nicht so verwunderlich. Wer ehrgeizig und konstant an einem Ziel arbeitet, erreicht es in der Regel früher oder später.
Das Sprichtwort: "Steter Tropfen höhlt den Stein." gibt dem bildhaft Ausdruck.

Der Artikel nimmt Bezug auf den Marshmallow-Test von Walter Mischel, der zwischen Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre mit Kindergartenkindern in Kalifornien durchgeführt wurde. Ein Kind sitzt vor einem Marshmallow. Ihm ist erlaubt diesen sofort zu essen. Ihm wird allerdings ein weiterer Marshmallow versprochen, wenn es abzuwarten in der Lage ist, bis der Versuchsleiter den Raum verlassen und nach einiger Zeit wieder betreten hat - mit dem zweiten Marshmallow in der Hand.
Geduld zahlt sich hier eben aus. In der Theorie sind Kinder, die in diesem Test ihre Wünsche und ihr Verlangen kontrollieren konnten, in beruflicher und familiärer Hinsicht erfolgreicher.

Der Artikel stellt das Geschwisterpaar Craig und Carolyn vor. Sie haben beide damals an diesem Versuch teilgenommen. Er ist mit Pauken und Trompeten durchgefallen, sie konnte sich beherrschen und den zweiten Marshmallow ergattern. Auf den ersten Blick scheint die Theorie auch in der Praxis aufzugehen. Nach einer geradlinigen Karriere lehrt sie heute an einer Uni in Seattle. Er ist Filmproduzent, der sich mehr schlecht als recht von einem Projekt zum nächsten hangelt, umgeben von finanzieller Unsicherheit.

Als Leser fragt man sich spätestens jetzt: "Wie diszipliniert und geduldig bin ich?" Falls die Antwort eher negativ ausfällt: "Wie kann ich mir mehr Disziplin aneignen?" Denn obwohl die Grundvoraussetzungen für unser Verhalten schon in der frühen Kindheit durch unsere Eltern gegeben werden (beispielsweise durch die Länge der Stillzeit), so können wir uns immer noch umtrainieren. (Leider ein Kreis des Teufels, dass das Antrainieren von Disziplin Disziplin erfordert.) In dem Sinne plädiert Mischel für geduldfördernde Methoden in der Kindergarten- und Schulpädagogik, beispielsweise durch die Einführung eines Schulfachs "Geduld".

Bevor man sich diesen Gedanken zu lange hingeben kann, hinterfragen die Autoren Kerstin Bund und Kolja Rudizo allerdings das Konzept von Selbstdiszlin und Selbstkontrolle zugunsten von Erfolg kritisch, in dem sie fragen was Erfolg eigentlich ist.

Aus erfolgreicher Bedürfniskontrolle und der Fähigkeit die eigenen Wünsche und Emotionen in Grenzen zu halten resultiert persönlicher Erfolg, weil man welchen Wert, welches Ziel und welches Ideal noch einmal erfüllt?
Letzlich steht hinter der gesamten Besser-Leben-Strategie wieder die Frage nach den eigenen Erwartungen an ein erfülltes Leben. Die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung ist mit Sicherheit eine gute Grundlage, um in unserer erfolgsgetriebenen und karrieregeilen Gesellschaft mitzuschwimmen.
Sie ist sicherlich auch eine gute Eigenschaft für all diejenigen, die sich dem Erfolgsdruck nicht anschließend wollen, um ihre kleineren, persönlichen Ziele und ihren Alltag zu meistern.
Aber es ist definitiv falsch den selbstdisziplinierten und in zäher Geduld ausharrenden Menschen als den Gewinner und die etwas weniger konsequenten Typen als Verlierer dastehen zu lassen.
In diesem Sinne werfen die Autoren einen Blick auf die von zu viel Selbstbeherrschung Burn-Out-Geplagten in einem Krankenhaus im Luftkurort Braunlage im Harz. Außerdem listen sie auf welche Laster und Schwächen viele der historischen Persönlichkeiten hatten, die unsere Gesellschaft geprägt und voran gebracht haben. Zuletzt bieten sie einen Blick hinter die Fassade und berichten von Craigs beiden Kindern und seiner Ehefrau, die Craigs Leben, im Gegensatz zu dem seiner alleinerziehenden, geschiedenen Schwester Carolyn, nicht mehr all zu bemitleidenswert und gescheitert erscheinen lassen.

Schließlich erinnerte mich der Artikel an eine Diskussion, die ich in den letzten Wochen wieder öfter geführt habe und womöglich viele Junge Menschen betrifft, die bald ihr Studium beendet haben werden und ins Arbeitsleben starten möchten. Die Frage nach der persönlichen Wert- und Zielvorstellung für das Arbeitsleben. Möchte man zielstrebig und geradlinig einer Karriere folgen, die durch das eigene Studienfach geebnet wurde und eigentlich keine Umwege erlaubt. Sozusagen rein in die Maschinerie und 40 Jahr mitgedreht.
Oder begreift man das Arbeitsleben als etwas, das im Fluss ist, das einer Berufung Ausdruck gibt, die jeder immer wieder neu für sich definieren und hinterfragen sollte. will man berufliche Abschnitte erkennen, Umwege riskieren, um Interessen auszuprobieren und ihnen möglichweise zu folgen. Will man kein "zu alt" akzeptieren und auch kein "Zeit vergeuden" gelten lassen, das einem hier und da entgegengesetzt wird, wenn man anderen von kühnen Plänen und Ideen berichtet, die von der Geradlinigkeit, die sich unser Marktsystem wünscht, abweichen. Sollte nicht die Maxime eines selbstbewussten, frei denkenden Mensch sein, dass er sein Arbeitsleben nicht fremd- sondern aktiv selstbestimmt gestaltet?

Ich bin mir durchaus bewusst, dass all diese Ideale heutzutage leicht gesagt und schwer umzusetzen sind. Aber gerade als junger Mensch, für den es nur noch ein paar Schritte sind, bis er mit der harten Realität unseres Arbeitsmarktes konfrontiert wird, scheint es mir lohnenswert sich ein paar Idealen und Werten bewusst zu werden, die man in den nächsten Jahrzehnten geduldig und diszipliniert für sich selbst zu verfolgen versucht.